Bwoom-Japan
Galerie für traditionelle Kunst aus Japan 
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Das ästhetische Konzept von Wabi und Sabi  
Der Versuch einer Annäherung aus europäischer Sicht:

Jeder der sich der traditionellen Kunst Japans nähert, wird recht bald auf die Begriffe bzw. den Doppelbegriff Wabi und Sabi stossen. Das Verständnis dieses Begriffs ermöglicht einen tiefen Einblick in die japanische Betrachtungsweise, Geisteshaltung sowie religiöse Vorstellungen, also in das Herz Japans.
Das ästhetische Konzept des Wabi und Sabi stellt jedoch den westlichen Betrachter vor eine grosse Herausforderung und schon die Begriffserklärung gestaltet sich schwierig: Es gibt keine direkte Übersetzung dieser beiden Begriffe, in der Annäherung werden daher gerne die Umschreibungen "einsam und verlassen, arm, elend" für Wabi  und "alt, reif, erfahren" für Sabi verwendet. Tatsächlich gemeint ist aber weitaus mehr als dieser schlichte Übersetzungsversuch, denn die Begriffe Wabi und Sabi, in ihrem künstlerischen Zusammenhang, entziehen sich dieser einfachen, direkten Deutung und erst das Zusammenspiel dieser beiden Begriffe lässt eine Konzeption erahnen:  Es ist eine nicht direkt greifbare Ausstrahlung und Stimmung die den Reiz des Einfach-Bescheidenen, der Unvollkommenheit aber auch der Reifung und Alterung vermittelt. Diese Ideale gehen auch auf reliöse Verehrungen zurück, so z. B. die Gefühle die dem einsamen Einsiedler entgegengebracht werden, der unter Verleugnung körperlicher Bedürfnisse und unter materieller Entsagung, den Weg der spirituellen Vervollkommnung beschreitet und sein Leben einzig der religiösen Erkenntnis widmet. Der Erleuchtung geht die Selbsterkenntnis voran und dies setzt die Befreiung von allen emotionalen und materiellen und intellektuellen Schranken voraus.
Der Zen-Buddhismus (von chin. Chan) gelangte bereits ab dem 6. Jahrhundert nach Japan und traf auf den dort weit verbreiteten Shintoismus, eine Religionsform die den Geisterglauben vertritt, ebenso die Verehrung von Naturerscheinungen (Felsen, Bäume, Quellen, Berge, hier z. B. den Fuji-San), also eine sehr ursprüngliche, auch vom Schamanismus und alten Naturreligionen beeinflusste Lehre die bis heute als Staatsreligion umfangreich praktiziert wird und prägend für die japanische Gesellschaft ist. Während der Zen-Buddhismus die Lehre des Weges zur Erkenntnis und zur Erlösung beschreibt, steht der Shintoismus den alten Naturreligionen nahe, diese Dualität und die daraus entstandene teilweise, zeitweilige Verschmelzung beider Anschauungen könnte einen wesentlichen Einfluss auf die Entstehung des komplexen, japanischen Kunstweltbildes des Wabi und Sabi sein. Neben den religiösen Einflüssen ist ebenso eine starke Naturverbundenheit sowie die Bejahung des Lebens in seiner Vielfalt zu sehen, generell auch eine nach Wahrheit und dem Wesen des Lebens und der Schöpfung strebende Suche. Wabi und Sabi verkörpert also, neben religiösen Grundzügen, philosophische Ansätze.

Die Charakteristiken von Kunstwerken, besonders Keramiken, die der Wabi und Sabi Ästhetik folgen, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Ungekünstelte Handarbeit, oft schnell und wie in einem Schwung erschaffen, daraus resultierend:

Asymmetrie, sichtbare Werkzeugspuren und Zangenabdrücke, dadurch manchmal wie unvollendet wirkend, auch zufällige Verformungen während des Trocknungsvorgangs in Kauf nehmend bzw. in die Konzeption einer Keramik integrierend.
Die Besonderheit ist hierbei, dass der Betrachter durch das unvollendet wirkende Kunstwerk zu eigenen, fortführenden Überlegungen angeregt wird und somit der Schaffensprozess einer Keramik erst im Auge des Betrachters seine Vollendung erfährt.

Einfachheit, Bescheidenheit, die Beschränkung auf das Wesentliche, der Verzicht auf jegliche "Fleissarbeiten" in Form von zusätzlichen Ausschmückungen und Verfeinerungen, eventuelle Bemalungen sind oft nur andeutungsweise ausgeführt.

Natürlichkeit, Glasuren die nur zum Teil vom Keramiker in ihrem Lauf und Ausprägung beeinflusst werden können, daher oft wie zufällig, natürlich entstanden wirkend. Keramiken zeigen in ihrer freien Form, auch bedingt durch die Asymmetrie, Parallelen zur Natur in der sich die Spuren des Lebens manifestieren. Beispielsweise müssen alte Bäume, auch wenn diese in ihrer Jugend gerade und gleichmässig gewachsen sind, nach Sturm- und Eisbrüchen sich über Seitentriebe regenerieren um dann zunehmend eine individuelle, vom Gleichmass der Jugend abweichende Form zu entwickeln.

Zusätzlich gilt bei alten Keramiken: Alt und reif wirkend sowie Patina zeigen: Patina ist kein Schmutz, denn gemeint ist hier die Patina die durch Pflege und dem davon rührenden Abrieb herrührt, ebenso allmählich entstehenden Verfärbungen, die z. B. durch die Gerbstoffe des Tees in der Teeschale entstehen, darüber hinaus kann auch natürlicher Bewuchs auf alten Häusern in Form von Moosen und Flechten sowie Korrossionspatina auf Eisenwaren als Patina im weiteren Sinne verstanden werden.
In all diesen Stücken hat sich die Zeit und der Gebrauch verewigt und vermitteln dies dem Betrachter oft eindrucksvoll, wobei oft auch dessen Seele berührt wird. 
Im Rahmen des Chadô, des japanischen Teewegs, verkörpern besonders Raku-Schalen (neben Hagi-, Shino- und Karatsu-Keramiken) diese Ausstrahlung der Unvollkommenheit: Im Holzbrand enstandene Schalen haben bereits durch den Brennvorgang einen "gealterten" Ausdruck erhalten, dieser wird durch die Nutzung und Teepatinabildung mit der Zeit zusätzlich hervorgehoben. Durch den langjährigen Gebrauch kommt es zudem gelegentlich auch zu Brüchen und Sprüngen die dann mittels Kintsugi- Reparaturen wiederhergestellt Wabi Sabi Chawan
werden, dieses sichtbar betonte "Flickwerk"  wird oft sogar als zusätzliche Aufwertung im Rahmen der Wabi-Sabi Ästhetik verstanden. Karatsu-Chawan mit reparierten Sprüngen in Form von Kintsugi Goldlack-Reparaturen

Das Konzept von Wabi und Sabi stellt somit auch einen Kontrapunkt zur modernen Konsum- und Wegwerfgesellschaft dar, hier werden Gegenstände also nicht für kurzlebige Modetrends designt, es ist vielmehr die Wertschätzung des Klassischen, nahezu unbegrenzt Wiederverwendbaren und die damit verbundene Schönheit der Zeitlosigkeit.
Auch im Rahmen des Teewegs chadô gesellt sich zu der Ausstattung des Teeraums und Verwendung der Utensilien die dem Konzept des Wabi und Sabi entsprechen, eine weitere wesentliche, immaterielle Komponente dieses Gesamtkonzepts ein: Für den Teemeister bedeutet der Weg des Tees eine ständige Weiterentwicklung und Reifung seiner Fähigkeiten, dies auch durch stille
, vergeistigter Kommunikation mit seinen Gästen, die dann im Idealfall und am Ende eines langen Weges, zur Vervollkommnung und damit zu höchster geistiger Erkenntnis führen.
Kaum eine Kunstform ist so eng mit dem Prinzip des Wabi und Sabi verbunden wie die Teezeremonie bzw. der Teeweg chadô, dem interessierten Leser seien die mittlerweile zahlreichen, auch in Deutschland angebotenen, Vorführungen hierzu zu empfehlen.

Kalligrafie Stil Wabi und Sabi Japan Der Geist des Wabi und Sabi spiegelt sich auch in der Kunst der Kalligrafie wieder, hier am Beispiel einer abstrakten Schriftgestaltung von Yamaoka Tesshu, einem erleuchteten Meisters der Kampfkunst. Ebenso wie der Teeweg chadô beschreitet auch der Meister der Kalligrafie seinen Weg, den Weg des Schreibens shodô.
Hierbei werden die oben genannten Elemente der Einfachheit, ungekünstelten Bescheidenheit umgesetzt, diese verlangen vom Kalligrafen ein Höchstmass an Konzentration und innerer Reinigung um letztlich einen Geisteszustand zu erlangen der virtuos die Umsetzung seiner bisher erlangten göttlichen Erkenntnis ermöglicht, Kalligrafien sollten in einem einzigen Durchgang, fliessend entstehen, nachträgliche Korrekturen oder Hinzufügungen sind nicht erwünscht. Diese spontane Schreibweise kann, wie in diesem Beispiel, auch bis zur Unlesbarkeit der Kalligrafie führen. Entscheidend ist die Übermittlung des inneren Wesens einzelner Kanjis, deren abstrahierte Darstellung dann auch das Wesen des Kalligrafen lebendig erscheinen lassen.
Die hier gezeigte, an eine Schreibschrift erinnernde Kalligrafieform mag ihre Wurzeln in der chinesischen Grasschrift haben und wurde von den Samurai favorisiert, denen auch Yamaoka Tesshu zugehörig war.
Bild- und Schriftrollen sind bis heute fester Bestandteil der Teezeremonie chadô und werden in der dazugehörigen Tokonoma den Teegästen präsentiert. Hierzu werden thematisch Bild- und Schriftrollen verwendet die einen Bezug zur Teezeremonie Herstellen lassen oder das Thema einer Solchen unterstreichen. 
Antike Kalligrafie von
Yamaoka Tesshu
Eine oft eindrucksvolle Ergänzung des Geistes von Wabi und Sabi, welcher der klassischen Teezeremonie, aber auch den Kampfkünsten bis heute innewohnt.

Haiku- und Waka-Dichtung: Die Prinzipien des Wabi und Sabi finden sich auch in der Dichtkunst Japans wieder, hier am Beispiel eines berühmten Haikus von Matsuo Bashô:

In duftender Luft
Steigt unversehens
Die Sonne empor
Ein Gebirgspfad
Matsuo Bashô 1644 - 1694

Dieses Gedicht vereint ebenso die Ideale des Wabi und Sabi: Unvollendet, nur angedeutet, indirekt, letztlich das Bescheidene im Alltäglichen, dies auch um eine Brücke vom Dichter zum Leser zu bauen um ein bestimmtes Gefühl, hier auch das Gefühl der Einsamkeit, hervorzuheben.

Neben den gezeigten Beispielen manifestiert sich der Geist von Wabi und Sabi aber auch in vielen gewöhnlichen Gegenständen und Handlungen, analog zum Weg der buddhistischen Erkenntnis der die Göttlichkeit und Schöpfung auch im Alltäglichen spürbar werden lässt.
Die eingehende Betrachtung eines besonders schön herbstlich gefärbten Blattes, die nähere Beobachtung des Wesens eines Frosches, oder das Zusammenstellen eines Blumengestecks aus gesammelten Blumen und Zweigen lassen bereits den Geist des Wabi und Sabi erwachen und sind für Jedermann nachvollziehbar. Es ist also auch die Hervorhebung der Schönheit und der Respekt gegenüber gewöhnlichen Dingen die sonst nur achtlos übersehen werden. Ebenso gehört hierzu z. B. die Betrachtung des Mondes sowie blühender Bäume (nicht nur während der Kirschblüte) sowie das Aufnehmen der Düfte und Gerüche der einzelnen Jahreszeiten, hier also Betrachtungen die jedem frei zugänglich sind und die Sinne beleben, jedoch ohne den Zwang des "Künstlerisch-Elitären".

Licht und Schatten: Ergänzend ist noch die oft nur andeutungsweise Ausleuchtung der Kunstnische tokonoma, des Teegartens oder des Teehauses zu erwähnen, hier wird der Schattenwurf zur Hauptsache, schwach ausgeleuchtete Gegenstände zur Nebensache bzw. nur andeutungsweise sichtbar. Nicht die grelle Mittagsonne, sondern die von Dunstschleiern verhüllte, gerade aufgehende Sonne vermittelt diese spezielle Ästhetik. Es ist der verschleierte Vollmond und der dann nur andeutungsweise sichtbare Pinienwald, der dann durch das Rauschen des Windes durch die Nadeln sowie über den Duft des Harzes dem Betrachter sein innerstes Wesen offenbart.

Ausserhalb Japans: Auch im europäischen Kulturraum waren im Zuge der Burgenromantik ruinöse Bauwerke sowie antike Monumente der Griechisch-Römischen Zeit beliebt und deren Betrachtung in Mode. Man errichtete sogar Gebäude im ruinösen Stil neu, so z. B.  das Lustschloss auf der Berliner Pfaueninsel oder den Ruinenberg gegenüber des Schlosses Sans Souci in Potsdam. In Dresden wurde beim Wiederaufbau der Frauenkirche die schwarze Patina an den erhaltenen Teilen des Gebäudes belassen und in scharfen Kontrast zu den hellen, neu verbauten Steinen gesetzt. Die allmähliche, natürlich entstehende Angleichung der neuen Bauteile an die alte Patina ist beabsichtigt und bereits heute ansatzweise erkennbar, insgesamt ein schönes Beispiel für den konstruktiven Umgang mit alter Patina in Europa. Hier lässt sich vielleicht eine kleine Brücke zum Wabi und Sabi Konzept konstruieren, denn auch im europäischen Raum erfreute und erfreut sich bis heute das Unvollendete bzw. unvollständig Erhaltene sowie Wiederhergestellte einer grossen Wertschätzung, auch wenn hierzulande diese Bauwerke eher in romantisch-nostalgischer Verklärung gesehen werden. Das Konzept von Wabi und Sabi ist allerdings um einiges umfassender und nicht zuletzt auch immer von einer religiösen Komponente beseelt, es unterscheidet sich somit doch wieder stärker von den genannten Beispielen der Antiken-Liebhaberei.

Mit der Öffnung Japans in der Meiji-Epoche (2. Hälfte des 19. Jhdt), waren erste Einflüsse der Japanischen Hochkultur auf die Kunst Europas zu beobachten: Eifrig wurden Farbholzschnitte und andere Kunstwerke gesammelt und auch von hochrangigen europäischen Künstlern der Zeit aufgenommen um anschliessend als neue Inspirationsquelle der europäischen Moderne zu dienen, damit gelangten auch erste Ansätze des Wabi und Sabi in die westliche Hemisphäre.
Als eindrucksvolles Beispiel ist in diesem Zusammenhang die japanische Bonsai-Kunst zu nennen, denn diese ist ebenfalls stark vom Wesen des Wabi und Sabi beeinflusst: Die Bonsai-Gestaltung wird mittlerweile von einem weiten Kreis ernsthaft interessierter Bonsailiebhaber in weiten Teilen Europas seit Jahrzehnten gepflegt, hier sind zudem interessante Interpretationen und Unterstile entstanden die nun wiederum auch von Japan aus einige Beachtung finden. Besonders in der Bonsai-Kunst werden wieder die Grundprinzipien des Wabi und Sabi greifbar und vielleicht am Besten verständlich: 
Bonsai in Europa
Einfachheit, Natürlichkeit, Asymmetrie und die Beschränkung auf das Wesentliche. Europäische Rotkiefer als Bonsai (in Deutschland gestaltet)

Im Laufe des 20. Jahrhunderts gelangten viele weitere japanische Kunstformen und deren Abwandlungen nach Europa, leider auch oft unter kommerzieller Entfremdung und Verkitschung. Diese Einleitung soll jedoch den allgemein an Japanischer Kunst und Lebensart interessierten Leser ermutigen sich wieder näher an die ursprünglichen Wurzeln der Japanischen Kunst heranzutasten.

Diese kurze Einführung zum Thema Wabi und Sabi kann lediglich als Versuch eines Europäers gelten, Einblicke und tiefere Einsichten in das Japanische Wesen zu erlangen, dieser Ansatz erhebt dabei naturgemäss keine Ansprüche auf Vollständigkeit oder gar Vollendung...


Kao Wabi Sabi

Uwe Schade, im Sommer 2018



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